Für den Tesla Model S gibt es ab Frühjahr 2016 eine kabellose Ladeplatte.
Damit entfällt das lästige Einstecken des Ladekabels.

Induktives Laden: „Unsere Kinder werden das Wort ‚tanken‘ aus ihrem Wortschatz streichen“
aus Zeitschrift "Die Welt" vom 19.6.2016

Ein Parkplatz mit Magnetfeld lädt künftig das Elektroauto auf, ein Kabel ist gar nicht mehr nötig. Diese Entwicklung schieben Audi und BMW jetzt an.

Das Elektroauto rollt abends in die Garage und kommt mit der Vorderachse über einer fünf Zentimeter hohen Bodenplatte zum Stehen. Das sogenannte "Charging Pad" misst 65 mal 65 Zentimeter und ist ans Stromnetz angeschlossen. Über Nacht füllt es die Akkus des Wagens ganz automatisch, und zwar ohne Ladesäule und Kabeltrommel, sondern nach dem Induktionsprinzip – also völlig kontaktlos.

Bei elektrischen Zahnbürsten, Induktionsherden und Handys ist das drahtlose Aufladen längst alltäglich. Nun soll das Prinzip auch auf das Herz des Elektrowagens ausgedehnt werden: die Batterie. Autobauer und Zulieferer beschäftigen sich derzeit intensiv mit der Technik, die das Laden per Stromkabel zwar nicht auf einen Schlag ersetzen wird, aber nach und nach ablösen könnte. "Das kontaktlose Laden hat das Potenzial, der Elektromobilität einen neuen Schub zu geben", sagt Björn Elias, Projektleiter im Bereich Elektromobilität bei Audi. Mit dem Q6 e-tron will der Hersteller aus Ingolstadt in zwei Jahren sein erstes rein elektrisches SUV auf den Markt bringen. Der Wagen wird auf Wunsch mit einer induktiven Ladeoption ausgestattet sein.

Auch Peter Krams, Leiter des Bereichs Sonderfahrzeuge E-Mobilität bei BMW, hält ein marktfähiges Produkt schon in wenigen Jahren für realistisch: "Zunächst wird die induktive Ladefunktion als Sonderausstattung angeboten, zusätzlich zur bereits bestehenden Kabellösung." Die Vorteile des Verfahrens liegen auf der Hand: Sobald die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, müsste sich der Halter eines Elektroautos keinerlei Gedanken mehr über den Ladezustand der Batterie machen, die Reichweitenangst hätte ein Ende. Zum Charging Pad im heimische Carport käme eine zweite Platte in der Tiefgarage des Arbeitgebers, die während der Bürozeiten für frischen Saft sorgen würde. Ergänzend könnte sich der Wagen auch bei kürzeren Zwischenstopps seine Stromrationen abholen, etwa beim Arztbesuch, beim Einkauf im Supermarkt oder beim Elternabend. Statt ganzer Mahlzeiten würden die Akkus also über den Tag verteilt mehrere kleine Imbisse zu sich nehmen, um das Auto am Laufen zu halten – ein Ansatz, der in der Branche als "Snack Charging" bezeichnet wird.

"Im Prinzip kann die Batterie überall nachgeladen werden, wo das Auto anhält"

"Die kurzen Zyklen sind das Beste, was dem Akku passieren kann: Je geringer die Ladeschübe, desto länger die Lebenserwartung." Die Marktchancen für Elektroautos würden sich so erheblich verbessern. Die Marktforschung hat gezeigt, dass die Suche nach Ladestationen und das Hantieren mit Stromkabeln viele potenzielle Kunden abschreckt.

Ganz neu ist das Laden ohne physischen Kontakt allerdings nicht. Im Grunde ist das Prinzip schon seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Der Elektropionier Nikola Tesla war damals wie besessen von der Idee, Energie mittels hochfrequenter Wechselströme drahtlos zu übertragen. Dass sich diese Idee auch relativ leicht umsetzen lässt, führte er erstmals im Jahr 1891 einem staunenden New Yorker Publikum vor. Die Physik dahinter: In einer Spule erzeugt elektrischer Wechselstrom ein pulsierendes Magnetfeld. Dieses Magnetfeld lässt in einer zweiten, möglichst nicht allzu weit entfernten Spule ebenfalls Strom fließen.

Bei Elektroautos sitzt diese Sekundärspule im Unterboden, in aller Regel im Bereich der Vorderachse. Die beiden Spulen bilden dabei eine Art Antennensystem der Energieübertragung. Je enger sie beieinander liegen, desto besser. Bei einem Elektroauto wie dem BMW i3 heißt das: Ein Abstand von 100 bis 140 Millimeter ist ideal.

In der elektrischen Rennwagenserie Formel E wird das Ladeverfahren bereits angewandt – zwar noch nicht bei den Rennwagen selbst, dafür aber bei den BMW-Fahrzeugen der i-Reihe, die zur Sicherung der Strecke und zur ärztlichen Versorgung der Fahrer eingesetzt werden. Die Technik steckt noch im Prototypenstadium und stammt von Qualcomm, einem der Hauptsponsoren der Rennserie. Das US-Unternehmen ist als Chiphersteller für den Mobilfunksektor groß geworden und agiert inzwischen auch als Entwickler und Lizenzgeber für innovative Ladesysteme. "Der BMW i8 ist das weltweit erste Fahrzeug, das mit einer induktiven Ladeleistung von 7,2 kW aufgeladen werden kann", sagt Thomas Nindl, Direktor des Business Development in der Münchner Qualcomm-Niederlassung. Das ist viel im Vergleich zu einer herkömmlichen Ladestation und bedeutet, dass die Akkus des Hybrid-Supersportwagens schon nach einer Stunde voll sind.

Die 15 bis 20 Kilogramm schwere Bodenplatte namens "Halo", die Qualcomm für den induktiven Ladevorgang entwickelt hat, besteht aus harten Kunststoffen und ist im Innern mit Stegen so versteift, dass es ihr nichts ausmachen würde, von einem Lkw überrollt zu werden. Die entsprechende Spule im Auto ist ungefähr so groß wie ein DIN A4-Blatt und soll so platzsparend wie möglich untergebracht werden. Zu beachten ist auch die Umgebung der Spule im Unterboden: Aluminium ist kein Problem, Stahl hingegen schon, da es beim Ladevorgang sehr schnell sehr heiß wird. Dann muss – ebenso wie bei einer Kohlefaserkarosserie – hitzeabweisendes Isoliermaterial zum Einsatz kommen.

Zudem verfügen die Pads über einen Sensor für störende Objekte, im Qualcomm-Jargon "Foreign Object Detection" genannt. Metallgegenstände wie Cola-Dosen, Nägel und sogar Büroklammern sind potenzielle Hitzenester. Werden sie im Energiefeld aufgespürt, wird der Ladevorgang abgebrochen. Streckt sich dagegen eine Kinderhand nach einem unter das Auto gerollten Fußball oder rekelt sich eine Katze auf der Platte, wird die Übertragung nur so lange gestoppt, wie sich das bewegliche Objekt im Fokus der Sensoren aufhält.

Laub, Steine, Holz, Schnee oder Eis können die Funktion der Ladeplatte dagegen nicht beeinträchtigen. "Es ist sogar möglich, die Platten im Asphalt zu versenken und mit einer zwei Zentimeter dicken Teerschicht zu überziehen", erklärt Thomas Nindl. "So vermeidet man Stolperfallen, und zur Markierung der Bodenplatten dienen farblich abgesetzte Flächen." Am besten rollen die Autos autonom über die Platte, um akkurat zum Stehen zu kommen. Denn nur wenn sich die beiden Spulen in der Idealposition gegenüberstehen, erzielen sie die maximale Transferleistung.

Das sieht man auch bei Audi so, wo das "pilotierte Parken" kurz vorm Serieneinsatz steht. Der Fahrer kann dabei sogar vorher aussteigen und den Einparkvorgang via Smartphone auslösen. Nissan, ebenfalls schon sehr weit in der Entwicklung kabelloser Ladesysteme, erprobt ein System, bei dem autonome Elektroautos im Bordstein integrierte Induktionsplatten selbstständig anfahren und nach dem Laden wieder frei machen.

Die Techniker von Qualcomm, Audi oder BMW denken sogar schon über die stationären Anwendungen des Induktionsprinzips hinaus. Der nächste Schritt wäre das kontaktlose Nachladen in Bewegung, zunächst im semidynamischen Bereich. "Der Taxistand am Flughafen ist dafür ein treffliches Beispiel", erklärt Nindl. "Die Taxis stehen in der Schlange und müssen sich peu à peu an die Spitze vorarbeiten. Beim Nachrücken könnten sie bequem Strom ziehen." Ähnliches wäre an Ampeln oder Bahnschranken denkbar. Oder auch für Busse: In Braunschweig und Berlin fahren probeweise schon Exemplare, die an den Haltestellen induktiv aufgeladen werden.

Die ultimative Entwicklungsstufe wäre dann das dynamische Laden.

Der Gedanke dahinter: Statt zu warten, während die Batterie lädt – selbst beim Supercharger von Tesla dauert das 30 Minuten –, soll die Fahrt zur Stromversorgung genutzt werden. Angesichts maroder Brücken und sanierungsbedürftiger Straßen klingt es arg nach Wunschdenken, das dynamische Laden wird aber schon auf einer Versuchsstrecke in Frankreich erprobt. Dahinter steckt ein Konsortium namens Fabric, das von der EU gefördert wird. "Auf einer dreispurigen Autobahn könnten Abschnitte der mittleren Spur mit induktiven Ladepads bestückt werden", erklärt Thomas Nindl. "Mit solchen Ladestrecken könnten auch Autos mit kleineren Batterien größere Entfernungen zurücklegen, die ideale Geschwindigkeit dafür liegt laut Nindl bei 120 km/h.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Bei Spezialisten wie Qualcomm, aber auch bei Autobauern wie BMW und Audi sieht man zunächst proprietäre Lösungen, sprich: Ladepads, die an das System eines bestimmten Herstellers gebunden sind und daher nur zu Hause oder am Arbeitsplatz zum Einsatz kommen. Sie sollen als Extra angeboten werden und dürften zwischen 3000 und 5000 Euro kosten. Qualcomm-Experte Thomas Nindl rechnet damit, dass etwa ab 2019 universelle Lösungen folgen werden, also Pads, die markenübergreifend nutzbar sind und zum Beispiel am Fußballstadion oder auf dem S-Bahn-Parkplatz angesteuert werden können.

Die ersten Anbieter, die den Aufbau einer öffentlich zugänglichen Ladeninfrastruktur in Angriff nehmen wollen, stehen auch schon in den Startlöchern. Unter anderem hat Chargemaster, der führende Hersteller und Betreiber von Ladestationen in Großbritannien, bei Qualcomm eine Lizenz für den Einsatz der "Halo"-Technologie erworben. Bis wann das Unternehmen wie viele induktive Ladestationen einrichten will, konnte es auf Anfrage allerdings nicht mitteilen. Ein weiterer Lizenznehmer der Technologie ist die portugiesische Firma Efacec, die sich ebenfalls auf elektrische Ladeinfrastruktur spezialisiert hat und auf diesem Gebiet zum Beispiel mit dem Autobahnraststätten-Monopolisten Tank & Rast zusammenarbeitet. Efacec werde "in Kürze" auch Produkte für drahtloses Laden anbieten, verrät der Lizenzgeber.

Auch wenn das alles noch nach Zukunftsmusik klingt, ist Thomas Nindl sich ganz sicher: "Unsere Kinder werden das Wort 'tanken' aus ihrem Wortschatz streichen."

© WeltN24 GmbH 2016