Die Ökologie muss vor der Ökonomie stehen
Quelle: Tagesspiegel v. 18.6.2007, Author Jakob von Uexküll

Gründer des Weltzukunftsrats, hofft auf eine neue industrielle Revolution zugunsten der Umwelt.

Ihnen haften viele Etiketten an, von Umwelt-Moralist bis Öko-Utopist – welches stimmt?

Ich bin ein Possibilist, kein Utopist. Die Utopisten sind in meinen Augen die, die meinen, dass man so weitermachen kann wie bisher. Aber wenn man die Wachstumsfantasien nur ein wenig in die Zukunft projiziert, sieht man, dass alles auf einen ökologischen Kollaps zuläuft. Ich bin dagegen einfach jemand, der Probleme sieht und sich fragt: Warum soll ich mit Problemen weiterleben, die zu lösen sind?

Wie viel Zeit bleibt zum Umsteuern?

Mittlerweile haben wir so lange gewartet, dass es tatsächlich schwierig wird. Regional werden wir auf jeden Fall große Probleme bekommen: Verwüstungen von Landstrichen, Trockenheitskatastrophen – das haben wir ja sogar heute schon. Aber die globalen Probleme sind noch zu lösen, wenn wir schnell und radikal umsteuern und es schaffen, den Temperaturanstieg bei zwei Grad zu stoppen.

Wie kann das gelingen?

Wir brauchen eine Verkehrswende, der Flugverkehr muss reduziert, Schnellzug- und Nahverkehrstrecken ausgebaut werden. Wir brauchen eine Agrarwende, weg von der energieintensiven Agrarwirtschaft hin zur lokalen Produktion. Der Import muss eingeschränkt werden, der eigene Lebensstil verantwortungsvoller werden. Außerdem muss weltweit die Verbreitung von Lösungen forciert werden, die schon da sind. Beispielsweise ist die Verbreitung erneuerbarer Energien durch das deutsche Einspeisegesetz weltweit vorbildlich. Wir brauchen jetzt internationale Agenturen, die eine Förderung global koordinieren.

weiter

Glauben Sie denn wirklich, dass eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien das Klimachaos stoppen kann?

Die derzeitige Verschwendung von Energien kann sich unsere Gesellschaft jedenfalls nicht mehr leisten. Die wichtigste Bilanz ist die ökologische, nicht die ökonomische. Es ist absurd, Kostenvergleiche zwischen den Kosten für erneuerbare und nicht erneuerbare Energien anzustellen. Diese Energien sind einander diametral entgegengesetzt: Was wir heute an Öl verbrauchen, ist morgen nicht mehr da, die Sonnenenergie von heute können wir dagegen morgen nicht mehr nutzen. Deshalb müssen wir sie jetzt einsetzen. Wir müssen verstehen lernen: die Naturgesetze sind jedem Wirtschaftsgesetz überlegen.

Sie fordern radikale Einschnitte. Wie kann ein solcher Wandel herbeigeführt werden?

Die Menschen haben verstanden, dass, wenn wir jetzt nichts tun, die Katastrophe in wenigen Jahren vor der Tür steht. Aber sie brauchen auch staatliche Vorgaben. Schließlich wollen sie das Gefühl haben, Teil eines großen Ganzen zu sein und nicht s elber im kleinen Energie sparen und in der Nachbarschaft pusten die Firmen Unmengen von CO2 in die Luft. Aber das Hauptproblem ist doch: der Bürger liest von immer apokalyptischer werdenden Umweltberichten und hört dann von Plänen für 2030. Das ist peinlich und verheerend für die Glaubwürdigkeit der Politiker. Die Bürger erwarten, dass jetzt gehandelt wird.

Der G 8-Gipfel ging vor gut einer Woche zuende. Glauben Sie an die Unterstützung von Umweltanliegen durch die Politik?

Noch vor einem Jahr wurde die Angst vor einer Klimakatastrophe nur privat zugegeben. Mittlerweile gibt es zumindest öffentliche Lippenbekenntnisse. Allerdings ist die Kluft zwischen Sagen und Handeln groß. Und da sich die Umweltentwicklung beschleunigt, wächst auch die Umsetzungslücke immer mehr. Aber seitens der Politik gibt es eine starke Angst vor Aktionismus und einer öffentlichen Verzichtsdiskussion. Ich finde das absurd: Jeder, der nicht das Geld von Bill Gates hat, verzichtet täglich auf etwas. Und wenn der Umweltkollaps wirklich abgewendet werden soll, brauchen wir nun mal eine Verzichtsdiskussion. Nur so kann die Nachfrage nach Energie reduziert werden.

Sie kritisieren häufig die gesellschaftliche Unreife der westlichen Demokratien mit ihrem postmodernen Werte-Relativismus. Hier soll der Weltzukunftsrat ein Gegengewicht bilden. Wie soll das gehen?

Es gibt gemeinsame menschliche Werte und zu denen gehört der Brutinstinkt. Wir wollen unseren Kindern keine schlechtere Welt übergeben. Und gerade heute haben wir einen tiefgreifenderen und längerfristigen Einfluss auf die Zukunft als je zuvor. Bislang aber gab es keine Institution, die die Interessen der nachfolgenden Generation vertritt. Der Weltzukunftsrat soll nun als Zukunftslobby die Lücke füllen und politische Beschlüsse auf ihre Zukunftsfähigkeit – verfassungsgemäß und erdgemäß – überprüfen.

weiter

Wie wollen Sie verhindern, dass nur ein weiteres Forum für Diskussionen entsteht?

Anders als viele andere Gremien werden wir nicht nur kurzfristig arbeiten, sondern uns um die bindende Umsetzung von Ideen kümmern. Wir konzentrieren uns zunächst auf die Klima-Fragen und suchen nach „best policies“. Wo gibt es Lösungen, die funktionieren und die verbreitet werden sollten? Wir haben schon ein erstes Hearing gemeinsam mit Parlamentariern der ebenfalls gerade entstehenden Initiative E-Parliament in Nairobi abgehalten. Aufgrund dessen sind Gesetzesinitiativen in einigen afrikanischen Ländern entstanden, die die Energiegesetze verbessern. Im kommenden Herbst werden weitere Hearings in den USA und dann in Bali zur Klimakonferenz stattfinden.

Zum Schluss eine Frage an den Visionär: Wo werden wir in den nächsten zehn Jahren stehen?

Wenn es gut läuft, wird in Zukunft die Ökologie vor der Ökonomie kommen – und das wird eine neue industrielle Revolution mit sich bringen. Die Unternehmen werden vor neue Herausforderungen gestellt: Kooperation geht dann vor Wettbewerb.