Klimawandel

Klimaforscher prophezeien Hitzerekorde in Serie
Quelle: Spiegel online vom 09.08.2007

Klimaforscher haben erstmals ein Rechenmodell vorgestellt, das bei der Vorhersage der globalen Erwärmung natürliche Schwankungen berücksichtigt.
Ergebnis: Die Natur hat den Klimawandel zuletzt gedämpft - und wird das nicht mehr lange tun. Ab 2009 drohen Hitzerekorde in Serie.

Es ist das Lieblingsargument der Klimawandel-Skeptiker: Schon immer existieren starke Schwankungen in der globalen Temperatur - lange bevor es Menschen, Autos, Fabriken und Landwirtschaft gab. Die globale Erwärmung sei deshalb ein natürliches Phänomen und die Klimadebatte nichts als Panikmache.

Forscher prognostizieren Hitzerekorde in den kommenden Jahren
Tatsächlich haben die bisherigen Rechenmodelle meist nur Faktoren berücksichtigt, die außerhalb des Klimasystems liegen - wie etwa Treibhausgase, Sonnenstrahlung oder Aerosole in der Atmosphäre. Die inneren Schwankungen blieben dagegen weitgehend unberücksichtigt - vor allem wenn es um die Vorhersage des kommenden Jahrzehnts ging. Denn hier fallen die natürlichen Temperaturschwankungen stärker ins Gewicht als bei Szenarien, die sich etwa auf die kommenden hundert Jahre beziehen.
Jetzt aber haben britische Wissenschaftler erstmals ein Rechenmodell vorgestellt, das aktuelle Messdaten aus der Umwelt in die Vorhersagen integriert und die natürlichen Schwankungen berücksichtigt. Den Klimaskeptikern dürfte das Ergebnis jedoch kaum gefallen.
Im Gegenteil: In den vergangenen Jahren hat die natürliche Variabilität die globale Erwärmung sogar gedämpft, haben die Berechnungen der Forscher um Doug Smith vom Hadley Centre in Exeter ergeben. Doch damit sei es demnächst vorbei: Mindestens die Hälfte der Jahre zwischen 2009 und 2014 werde im Durchschnitt heißer sein als das bisherige Rekordjahr 1998.

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Höhere Präzision mit Ozean-Messdaten
Smiths Team hat errechnet, dass es 2014 im globalen Schnitt voraussichtlich um 0,1 bis 0,5 Grad wärmer sein wird als 2004. Ihr neues Modell namens DePreSys (Decadal Climate Prediction System) habe zusätzlich zum menschlichen Treibhausgas-Ausstoß auch viele Variationen innerhalb des Klimageschehens aufgenommen, etwa das Phänomen El Niño sowie langjährige Schwankungen der Wasserzirkulation und der Wärmespeicherung in den Ozeanen.

Die Verlässlichkeit ihres Modells haben die Forscher mit der sogenannten Nachhersage geprüft: Die Computer wurden mit früheren Temperaturdaten aus den Ozeanen gefüttert und sollten von dort aus die Klimaentwicklung der folgenden zehn Jahre berechnen. Mit Hilfe der Ozean-Messdaten fielen die Ergebnisse laut Smiths Team um 20 bis 36 Prozent genauer aus.

Wie stark natürliche Variationen auf das globale Klima wirken können, haben Wissenschaftler schon am Beispiel des Pazifiks und Atlantiks gezeigt. Im Pazifik etwa gibt es einen Kalt-Warm-Zyklus mit einer Länge von 30 bis 50 Jahren. Im Atlantik existiert ähnliches: Die sogenannte Atlantische Multidekadale Oszillation, ein im Zeitraum von Jahrzehnten hin- und herpendelndes Temperaturgefüge, wurde schon mit Phänomenen wie Dürreperioden in Afrika und Amerika und verstärkter Hurrikan-Aktivität in Verbindung gebracht.

"Wichtiger erster Schritt"
Dementsprechend laufen an Instituten in aller Welt Versuche, diese natürlichen Schwankungen in die Klimasimulationen einzubeziehen. Die Studie von Smith und seinen Kollegen sei "ein wichtiger erster Schritt", sagte Erich Roeckner, Chef der Klimamodellierung am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Von einem Durchbruch könne allerdings noch keine Rede sein. "Die Verbesserungen gegenüber den bisherigen Modellen sind sehr moderat."

Ähnlich äußerte sich Carsten Eden vom Leibniz-Institut für Meeresforschung (IFM-Geomar) in Kiel. Insbesondere für regionale Vorhersagen, wie etwa die jährliche mittlere Temperatur in Deutschland, habe das Modell von Smith und seinen Kollegen eher Nach- als Vorteile.

Das Hauptproblem ist laut Roeckner, dass es noch nicht genügend Messdaten aus den Ozeanen gibt, insbesondere aus g rößeren Tiefen. Und nur die Weltmeere seien für "echte" Vorhersagen geeignet, da sie im Vergleich zur Atmosphäre ein wesentlich längeres Klima-Gedächtnis haben: Temperaturveränderungen vollziehen sich dort über viel längere Zeiträume als in der Atmosphäre. Dennoch seien die Ergebnisse aus dem Hadley Centre erfolgversprechend, meint Roeckner. "Man muss in diese Richtung weiterarbeiten und noch mehr Daten aus den Ozeanen sammeln."

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Heißer Süden, grüner Norden
Dass der Klimawandel in Europa längst angekommen ist, daran zweifeln nach den Waldbränden und Überflutungen des Sommers 2007 nur noch die hartnäckigsten Skeptiker. Weniger bekannt ist, dass der globale Temperaturanstieg Europa überdurchschnittlich heftig treffen dürfte.
Seit Beginn der Industrialisierung stieg die Durchschnittstemperatur in Europa um 0,9 Grad, mehr als im globalen Durchschnitt. Die Prognosen für die kommenden 100 Jahre gehen davon aus, dass die Temperatur sich zwischen Mittelmeer und Polarkreis weiterhin schneller erhöht als im Rest der Welt.

"Selbst wenn wir alle Maßnahmen der Emissionsminderung ergreifen, werden wir die globale Erwärmung bestenfalls auf zwei Grad Celsius begrenzen können", erläuterte Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, kürzlich bei einem Vortrag in Erfurt. "Für Thüringen bedeutet das vielleicht drei oder vier Grad in diesem Jahrhundert." Was für Thüringen gilt, gilt für viele Teile Europas.

Dennoch sind Europas Klimaexperten von Katastrophenszenarien weit entfernt. Denn die Ausgangsposition des Kontinents ist besser als die vieler anderer Regionen, vor allem auf der Südhalbkugel. Die meisten europäischen Staaten verfügen über finanzielle Spielräume, um höhere Deiche und moderne Bewässerungsanlagen zu bauen, sie haben eine funktionierende öffentliche Infrastruktur und können Bauern, Forstwirte und Tourismusmanager vorbereiten.

Der Süden hinkt hinterher
Allerdings ist das Bewusstsein, dass sich Staaten und Gesellschaften an den Klimawandel anpassen müssen, noch recht unterschiedlich verteilt. "Es gibt eine Differenzierung zwischen den Regionen", sagt Peter Kristensen, der für die europäische Umweltbehörde EEA (European Environment Agency) an einem Bericht über die Anpassung an die veränderten Wasser- und Niederschlagsströme mitgearbeitet hat. In den Niederlanden - denen stärkere Sturmfluten und eine Erhöhung des Meeresspiegels drohen - ist die Planung für höhere Deiche und größere Überflutungsflächen weit fortgeschritten. Alle staatlichen Ebenen sind aufgerufen, den Klimawandel bis 2015 in ihre regionalen Infrastrukturplanungen einzuarbeiten. Anders in Süditalien und Griechenland: Obwohl dort gravierende Veränderungen durch heiße, regenarme Sommer und extrem starke Niederschläge im Rest des Jahres drohen, gibt es Anpassungsprojekte bisher nur vereinzelt auf lokaler Ebene.

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Diese Unterschiede haben die EU-Kommission aufgeschreckt. In ihrem kürzlich veröffentlichten Grünbuch zur Anpassung an den Klimawandel mahnt sie: "Ohne eine frühzeitige politische Regelung könnte die EU gezwungen sein, spontan und in Reaktion auf immer häufiger auftretende Krisen und Katastrophen oft auch abrupt zu intervenieren, was sich als sehr viel kostspieliger erweisen und Europas soziale und wirtschaftliche Systeme und seine Sicherheit bedrohen wird." Für den Anstieg des Meeresspiegels etwa schätzt eine EU-Studie, dass simples Abwarten viel teurer würde als beherztes Eingreifen. So würde ein Meeresspiegelanstieg um 25 Zentimeter bis 2020 ohne Anpassungsmaßnahmen Kosten von 5,5 Mrd. Euro verursachen.

Relativ kleine Investition - großer Nutzen
Würden dagegen 400 Mio. Euro in Anpassungsmaßnahmen investiert, blieben die Kosten des Restschadens bei vergleichsweise überschaubaren 1,4 Mrd. Euro. Noch drastischer fällt das Szenario aus, falls der Meeresspiegel bis 2080 um 56 Zentimeter ansteigt: Ohne Anpassung würde das Schäden von mehr als 18 Mrd. Euro nach sich ziehen. Dagegen könnten Anpassungsinvestitionen von 1,5 Mrd. Euro den Restschaden auf 1,5 bis 2 Mrd. Euro begrenzen.

Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass solche Berechnungen vor allem für Küstengebiete, die Mittelmeeranrainer und die Alpenregion lebenswichtig sind. Denn sie wird der Klimawandel am härtesten treffen. Den Ländern rund ums Mittelmeer macht vor allem die Kombination aus höheren Temperaturen und geringeren Niederschlägen zu schaffen. Das hat Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die dort bereits in hohem Maß von Bewässerung abhängig ist. Tropenkrankheiten wie Malaria und Dengue, bisher vor allem auf der Südhalbkugel zu Hause, könnten den Sprung nach Spanien und Italien schaffen.

Nicht überall in Europa ist die Bilanz des Klimawandels jedoch eindeutig negativ. Was etwa die Landwirtschaft angeht, "wird sich der Klimawandel für das nördliche Europa eher positiv, für einige Teile Süd- und Osteuropas dagegen eher negativ auswirken", so der Schlussbericht des Europe Acacia Project, das erstmals eingehend die Klimaeffekte auf Europa untersucht hat.

In den vergangenen 100 Jahren ist die Durchschnittstemperatur in Deutschland um etwa 0,8 Grad gestiegen. Dieser Erwärmungstrend hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich beschleunigt. Hochgerechnet auf 100 Jahre, beträgt die Zunahme derzeit 1,5 Grad. Neun der zehn Jahre des vergangenen Jahrzehnts und alle bisherigen Jahre des 21. Jahrhunderts waren wärmer als der langjährige Durchschnitt. Der kühle und verregnete Sommer in diesem Jahr ist kein Indiz dafür, dass der langfristige Trend sich umkehrt.

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Für die nächsten Jahrzehnte ist eine weitere Erwärmung der Atmosphäre programmiert, unabhängig von der Entwicklung der Treibhausgasemissionen. Treibhausgase wirken langfristig. In den vergangenen Jahrzehnten sind die globalen Emissionen so steil angestiegen, dass sich schon jetzt eine weitere Erwärmung nicht mehr abwenden lässt - selbst wenn morgen alle Autos und alle Kohlekraftwerke stillgelegt würden.

Umweltschützer haben lange Zeit Vorbereitungen zur Anpassung an den Klimawandel kritisiert. Sie sahen darin ein Zeichen der Resignation und eine Obstruktionsstrategie gegen wirksame Maßnahmen zum Schutz des Klimas. Anpassungsstrategien wurden zunächst vor allem von solchen Staaten empfohlen, die ihre eigenen Emissionen nicht senken wollten und damit nichts gegen die Ursachen des Klimawandels tun wollten.

Mittlerweile haben alle eingesehen, dass ein gewisses Maß an Klimawandel unausweichlich ist. "Der Klimawandel, der in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten stattfinden wird, lässt sich nicht mehr aufhalten, aber es immer noch möglich, unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften wenigstens einigermaßen vor seinen Einflüssen zu schützen", schrieb Nicholas Stern im vergangenen Jahr in seinem aufsehenerregenden Report über die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels. "Die Anpassung wird zig Milliarden Dollar pro Jahr allein in den Entwicklungsländern kosten und wird die bereits dürftigen Mittel dort weiter belasten."

Wie für den Klimaschutz durch Senkung der Emissionen gilt auch für die Anpassung an Klimaänderungen das wirtschaftliche Grundpostulat des Stern-Reports: "Die Vorteile eines entschiedenen und frühen Handelns überwiegen die wirtschaftlichen Kosten des Nichthandelns bei Weitem."

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