Bayern verpasst den Windkraft-Boom
Quelle: Spiegel online - Von Tobias Lill

Schuld daran sollen die Energiekonzerne sein

Bayern brüstet sich gerne damit, Vorreiter bei den erneuerbaren Energien zu sein. Dabei gerät der Freistaat zunehmend ins Hintertreffen - denn vor allem bei der Windenergie hat er geschlafen.

Wenn CSU-Politiker oder Ministerialbeamte von erneuerbaren Energien in Bayern sprechen, überbieten sie sich gerne mit Superlativen. Vom "V orreiter in Deutschland" in Sachen erneuerbare Energien schwärmt das bayerische Wirtschaftsministerium. Auch Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) bezeichnete den Freistaat erst kürzlich als "führend" bei den erneuerbaren Energien.

Doch was gut klingt, hat mit der Realität nicht viel zu tun. Das sagen jedenfalls Umweltschützer: "Die Staatsregierung verhindert regenerative Energien oft mehr, als dass sie diese fördert", sagt Ludwig Trautmann-Popp, Energieexperte des Bund Naturschutz Bayern. Zwar liegt das größte Bundesland in absoluten Zahlen bei der Erzeugung regenerativen Stroms noch immer vor allen anderen Bundesländern, in den vergangenen Jahren hat es aber deutlich an Boden verloren. Konnte Bayern im Jahr 1975 noch 25,5 Prozent seines Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien decken, waren es im Jahr 2004 nur mehr 17 Prozent.

Doch damit nicht genug: War der Bedeutungsverlust der regenerativen Energien bis zum Jahr 2000 allein auf den in Bayern besonders stark angestiegenen Stromverbrauch zurückgegangen, sank von 2000 bis 2004 auch die absolute Menge des Stroms, der auf erneuerbarem Wege erzeugt wurde: von rund 15 Milliarden Kilowattstunden auf 13,5 Milliarden Kilowattstunden.

Dass die vorläufige Schätzung des Landesamtes für Statistik für das Jahr 2006 trotzdem einen Anstieg auf rund 17 Milliarden Kilowattstunden Ökostrom verzeichnet, hat vor allem statistische Gründe: Die Beamten nehmen mittlerweile auch mit Hilfe von Biomasse erzeugten Strom in ihre Bilanz auf. "Biogas ist nicht per se gut für die Umweltbilanz. Manche Anlagen sind aus ökologischer Sicht eine Sackgasse", kritisiert jedoch Naturschützer Trautmann-Popp.

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Bayern profitiert vor allem von der Wasserkraft

Die meisten anderen Bundesländer haben - vor allem durch konsequenten Ausbau der Windkraft - ihre regenerative Stromerzeugung massiv erweitert. Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern erzeugten 2006 bereits ein Viertel ihres Stroms aus erneuerbaren Quellen. Beim Anteil der regenerativen Energien am eigenen Stromverbrauch lag Bayern 2006 - wie Anfragen von SPIEGEL ONLINE bei den Länderministerien ergaben - mit 20,4 Prozent bereits nur mehr auf Platz 5 des Länder-Rankings. In diesem Jahr dürfte voraussichtlich auch Niedersachsen in der Ökostrombilanz an Bayern vorbeiziehen.

Das hat einen Grund: Bayern profitiert vor allem von der Wasserkraft, rund vier Fünftel des regenerativ im Freistaat erzeugten Stroms stammen aus dieser Quelle. Umweltschützer stellen der CSU deshalb ein schlechtes Zeugnis aus. "Dass die Alpen zum Teil in Bayern stehen, ist nicht Verdienst der bayerischen Staatsregierung", poltert Trautmann-Popp.

Die Windenergie wird dagegen nach Ansicht von Greenpeace und dem Bund Naturschutz in keinem Land so sträflich vernachlässigt wie im größten Bundesland. "Bayern lässt die Windkraft einfach links liegen", sagt Günter Beermann, bayerischer Landesvorsitzender des Bundesverbandes WindEnergie (BWE). 343 Windräder standen laut dem Deutschen Windenergie-Institut (DEWI) Anfang 2008 im größten Bundesland. Die installierte Leistung aller Anlagen war zu diesem Zeitpunkt mit 387 Megawatt so gering wie in keinem anderen Flächenland außer dem Saarland. Ende 2006 trug die Windkraft laut dem bayerischen Wirtschaftsministerium 0,5 Prozent zur Stromerzeugung im Freistaat bei - und damit gerade einmal halb so viel wie die weitaus ineffektivere Gewinnung von Strom mit Hilfe der Sonne. "Grotesk", nennt Trautmann-Popp diesen Umstand.

Das Wirtschaftsministerium rechtfertig die geringe Zahl an Windrädern damit, dass Bayern "wegen der topografischen Gegebenheiten keine prädestinierte Region" für solche Anlagen sei. Doch Windenergie-Experten bezweifeln diese Aussage. "In Bayern weht sehr wohl genug Wind", sagt Trautmann-Popp. Nach Erkenntnissen des Bund Naturschutz und des BWE ist im Freistaat der Bau von weiteren 1.000 bis 1.500 Windrädern möglich - vorausgesetzt, der politische Wille ist da. "Und das sind nur die Standorte, die ohne Gefährdung der Vogelwelt oder Verschandelung der Landschaft in Frage kämen", sagt Trautmann-Popp. Zwar räumt der Umweltschützer ein, dass der Freistaat nicht mit Norddeutschland vergleichbar sei. Die Möglichkeiten in Bayern entsprächen aber in etwa denen in Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt.

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Umweltschützer kritisieren "konzernfreundliche Politik"

Und dort brummen die Rotoren: In Sachsen-Anhalt kamen nach Angaben der Landesregierung im Jahr 2006 rund 16 Prozent der Bruttostromerzeugung aus der Windkraft. Dank kräftiger politischer Unterstützung speisten die schon damals über 1800 Windräder im Jahr 2006 etwa 2700 Millionen Kilowattstunden in das Stromnetz ein. Auch in Rheinland-Pfalz stieg der Anteil der Windenergie an der Bruttostromerzeugung laut dem dortigen Wirtschaftsministerium von 2,2 Prozent im Jahr 2000 auf 8,3 Prozent im Jahr 2005 und hat dem BWE zufolge 2007 bereits einen Anteil von fast zwölf Prozent erreicht. Die installierte Leistung der über 930 Windräder ist mit mehr als 1.120 Megawatt drei Mal so hoch wie in Bayern.

"Hätte Bayern die gleiche Dichte an Anlagen wie Rheinland-Pfalz, würde das - neuere Anlagen vorausgesetzt - fast drei Prozent der bayerischen Stromerzeugung abdecken", weiß BWE-Landeschef Beermann. Das reiche, um mehr als 100.000 zusätzliche Haushalte zu versorgen. Bei voller Ausschöpfung des Potenzials im Freistaat wäre es laut dem BWE sogar möglich, acht Prozent des bayerischen Stromverbrauchs mit heimischer Windenergie abzudecken.

Die Staatsregierung räumt der Windenergie nach Ansicht Beermanns in ihrem Landesentwicklungsplan zu wenig Platz ein. Deshalb würden auch in den Regionalplänen stets windarme Gebiete für die Ausweisung von Windrädern ausgewählt. Ähnliche Erfahrungen hat auch Trautmann-Popp gemacht: "Ein Regionalplan für die nördliche Oberpfalz wurde sogar vom Verwaltungsgericht gekippt, weil er keine windreichen Gebiete für die Windkraftanlagen aufführte", erinnert sich der Umweltschützer.

BEW-Funktionär Beermann hält die Vernachlässigung der Windkraft in Bayern für eine Folge der "konzernfreundlichen Politik" des Wirtschaftsministeriums. "Dort sitzen zum Teil noch immer alte E.on-Leute", behauptet Beermann. Auch bei Greenpeace hält man Einflüsse der Energiewirtschaft für möglich. Im von den Öko-Kriegern erstellten Schwarzbuch "Klimaschutzverhinderer" sind immerhin vier CSU-Politiker und Beamte aufgeführt, die in der Vergangenheit von bayerischen Ministerien zum Energieriesen E.on wechselten. Auch besaß der Freistaat noch bis zum Jahr 2004 fast fünf Prozent der E.on-Aktien, reduzierte diesen Anteil jedoch schrittweise bis September 2007 auf unter zwei Prozent.

Im für erneuerbare Energien zuständigen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Infrastruktur und Technologie bestreitet man Einflüsse seitens der Energiekonzerne. "Mitarbeiter von E.on oder einem anderen Energieunternehmen sind und waren im Ministerium nicht tätig", sagt dessen Sprecherin Carolin Dafner SPIEGEL ONLINE. Ob ehemalige Mitarbeiter von E.on beim Ministerium angestellt seien, könne man jedoch nicht sagen, da es unmöglich sei, die Personalakten von über 600 Mitarbeitern "dahingehend zu überprüfen".

In den vergangenen zehn Jahren waren nach Ministeriumsangaben "im Rahmen des laufbahnrechtlichen Außendienstes" 14 Mitarbeiter - in der Regel jeweils zwei Jahre - bei Energieunternehmen beschäftigt. "Dem Personalreferat sind lediglich zwei Personen in Erinnerung, die in den letzten zehn Jahren dauerhaft zu einem Energieunternehmen gewechselt sind", sagt Dafner.