Stürmisches Wachstum für die Windbranche
Quelle: Frankfurter Allgemeine vom 22.10.2007

Die Windenergie ist den Öko-Kinderschuhen entwachsen und hat sich zur industriellen Boombranche entwickelt. Deutschland ist hier weltweit führend. Für Anleger ist es aber nicht so leicht, davon zu profitieren.

Es ist noch nicht lange her, da hatte es die Windkraft in Deutschland schwer. Noch im Jahre 2003, erinnert sich Branchen-Urgestein Fritz Vahrenholt, machten alle Unternehmen nur Verluste: „Damals galt Windenergie als typisch deutsche Öko-Idee und als Entwicklung aus dem grünen Zoo.“ Solche Einschätzungen sind Vergangenheit, und keiner kann das besser beurteilen als Energieriesen wie Eon. „Windkraft ist aus einem Garagenbetrieb zum industriellen Sektor gewachsen“, bestätigt Bernhard Fischer, Technik-Vorstand von Eon Energie.

Und so kann die Deutsche Bank in einer neuen Studie in aller Unbescheidenheit feststellen: „Windenergie - Deutschland weltweit führend“. Die installierte Kapazität der modernen Windmühlen hat sich im globalen Maßstab seit dem Jahr 2000 weltweit vervierfacht. Deutschland ist dabei mit einem Anteil von 28 Prozent an dieser Leistung die Nummer eins - vor Spanien, Amerika, Indien, Dänemark und China. Noch besser sieht es bei der Produktion aus. Die deutsche Industrie fertigt 37 Prozent aller Windenergieanlagen und -komponenten und damit den Löwenanteil. Bis 2015 soll sich Kapazität verfünffachen

Und die besten Zeiten stehen dem Wirtschaftssektor noch bevor, glaubt man den Auguren der Deutschen Bank. „Die Windbranche bleibt mittelfristig im Aufwind“, formuliert Studienautor Josef Auer. Schließlich werde die Windenergie bis 2015 jährlich um etwa ein Fünftel wachsen, die Kapazität werde sich also verfünffachen. Europa bleibe dabei mit 15 Prozent Wachstum pro Jahr etwas zurück; „stürmische“ Zuwächse von bis zu 30 Prozent dürften China, Amerika und Indien verzeichnen, glaubt Auer.

Wie attraktiv die Branche ist und wer alles davon profitieren kann, demonstrieren jüngste Entwicklungen. „Erste Engagements und Übernahmen zeigen die gestiegene Begehrlichkeit traditioneller Energiekonzerne und könnten der Anfang einer Konsolidierungswelle sein“, weiß DB Research. So hat der Energie- und Automatisierungstechnikkonzern ABB Mitte September von Eon den Auftrag erhalten, das weltweit größte Offshore-Windparkfeld, das nördlich der gleichnamigen Nordseeinsel gelegene „Borkum-2“, an das deutsche Stromnetz anzuschließen.

Strom, 100 Kilometer vom Festland entfernt

Dieses Feld ist ein Musterprojekt, wie sich Windstrom in großem Stil vom Meer zum Land transportieren lässt. Mit einer Entfernung von mehr als 100 Kilometern zur deutschen Nordseeküste weist der Windpark die größte Entfernung aller bislang installierten Offshore-Anlagen auf. Der Windpark soll im September 2009 in Betrieb gehen. Mit 400 Megawatt erreicht die geplante Kapazität immerhin rund ein Drittel des Groß-Atomkraftswerks Biblis A.

Und nach Borkum sind noch größere Projekte dieser Art in Planung. In vier Jahren sollen in Großbritannien 271 Windturbinen auf einer Fläche von 245 Quadratkilometer Strom für 750.000 Haushalte liefern. Ende 2006 hat die britische Regierung dieses schätzungsweise 2,5 bis 3 Milliarden Euro teure Projekt mit dem Namen „London Array“, beschlossen. Es wird von Shell Wind Energy, Eon sowie dem dänischen Gemeinschaftsunternehmen Core 20 Kilometer vor der Mündung der Themse an der Ostküste Englands errichtet. Wenn es nach 2010 fertig gestellt sein wird, verfügt es über eine Kapazität von 1.000 Megawatt (MW) und kann ein Prozent des britischen Strombedarfs decken.

Zukunftsmodell: Windparks jenseits der Küste

Windparks wie „Borkum-2“ oder „London Array“ jenseits der Küsten gelten Experten als Zukunftsmodell, auch angesichts der beschränkten Möglichkeiten im Binnenland. Nach Einschätzung der European Wind Energy Association werden sie kräftig an Bedeutung gewinnen. Bis 2020 sollen Windräder mit insgesamt 70.000 Megawatt Leistung im Meer installiert werden.

Allerdings stellen sie angesichts der hohen Kosten - so ist alleine der ABB-Auftrag zur Lieferung der Borkum-Strominfrastruktur 400 Millionen Dollar schwer - und wegen der technischen Risiken große Ansprüche. Weniger anspruchsvoll, aber auch erfolgversprechend, sind der Deutschen Bank zufolge die Branchenbereiche Exportgeschäft und Repowering (die Erneuerung von Anlagen). Hierfür seien Standardlösungen absehbar, heißt es.

Profitieren vom Windboom - gar nicht so einfach

Anleger, die vom Windboom profitieren wollen, können das auf vielerlei Weise versuchen.
Eine Möglichkeit: Ein Investment in traditionelle Versorger wie RWE oder Eon - zumal tendenziell der Anteil regenerativer Energien wie Wind am Strom-Energiemix wächst. Eine andere Variante ist die Beteiligung an Großkonzernen wie General Electric oder Siemens, die inzwischen mit ihren Sparten GE Energy und Siemens Wind Power in der Branche mitspielen.

Härter am Wind ist die Anlage in Firmen wie Repower oder Nordex. Diese Unternehmen machen zwar aussichtsreiche Geschäfte, doch haben das die Profis schon lange erkannt. Binnen eines Jahres hat sich der Börsenwert dieser Titel verdrei- bis vervierfacht, auch dank schwelender Übernahmephantasien.

Finanzinvestoren, die sich noch zu schlechten Zeiten eingekauft hatten, haben bei Repower bereits Kasse gemacht. Das Unternehmen ist für 1,2 Milliarden Euro vom indischen Windkraftanlagenhersteller Suzlon übernommen worden, die Nummer fünf auf dem Weltmarkt. Suzlon hat den staatlichen französischen Energiekonzern Areva ausgestochen, der mit Windkraft seine Dominanz in der Kernenergie abbauen wollte.

Nordex - ein teurer Überflieger

Nun steht Nordex zum Verkauf. Deren Eigentümer - ebenso Finanzinvestoren - nutzen die Gunst der Stunde, nachdem der Börsenwert auf 2,4 Milliarden Euro gestiegen ist. CMP und Goldman Sachs wollen sich von ihren Anteilen trennen. Zusammen mit den Anteilen zweier Banken, die ebenfalls ihre Beteiligung veräußern wollten, stehen mehr als 50 Prozent der im TecDAX notierten Gesellschaft zum Verkauf.

Trotz der hohen Bewertung dürfte dabei eine Prämie auf den aktuellen Kurs fällig werden, wovon auch die freien Aktionäre profitieren würden. Allerdings ist das nur eine Hoffnung, und die Aktie notiert mit Kursen um 35 Euro bereits wieder nahe am Allzeithoch. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt mit 57 (Gewinn 2007) ohnehin jenseits von Gut und Böse.
Aber so ist es halt: In einer Boombranche gibt es nichts geschenkt.