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Atomenergie: Biblis A vor dem Aus

RWE legt Revision gegen Entscheidung des Kasseler Verwaltungsgerichtshofs ein

Das Bundesumweltministerium hat zu Recht entschieden, dass RWE Strommengen, die dem Konzern im Atomgesetz für das stillgelegte Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich zugewiesen wurden, nicht auf das Atomkraftwerk Biblis A übertragen darf. Dies bestätigte gestern der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH). Während das Bundesumweltministerium und die Umweltschutzorganisation das Urteil begrüßten, kündigte RWE an, Revision einzulegen und vor das Bundesverwaltungsgericht zu ziehen.

Um eine Laufzeitverlängerung des ältesten derzeit in Deutschland noch betriebenen Atomkraftwerkes zu erreichen, hatte RWE im September 2006 beim Bundesumweltministerium die Zustimmung zu einer Übertragung von Strommengen auf das Kraftwerk Biblis A beantragt. Die Übertragung sollte aus dem Kontingent erfolgen, welches das Atomgesetz RWE für das stillgelegte Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich zuweist. Im Mai 2007 hatte das Bundesumweltministerium diesen Antrag abgelehnt, da Biblis A im Atomgesetz nicht in der Liste der Anlagen enthalten ist, auf die diese Reststrommengen des Kraftwerks Mülheim-Kärlich übertragen werden können.

Das im Anschluss an eine mündliche Verhandlung verkündete VGH-Urteil bestätigt die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesumweltministeriums. Die RWE zum Ausgleich für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich zugewiesene Strommenge könne nur auf bestimmte, in der Fußnote der Anlage 3 zum Atomgesetz abschließend aufgeführte Kraftwerke übertragen werden. Das Bundesumweltministerium sei nicht ermächtigt, eine Übertragung auf andere Anlagen zuzulassen. Ebenso wie das Schleswig-Holsteinische OVG hat der Hessische VGH wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieses Rechtsstreits die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Die Laufzeitverlängerung des Atomkraftwerks Biblis A verfolgt RWE auch mit einem weiteren Antrag, so das Bundesumweltministerium. Wenn die Übertragung von Mülheim-Kärlich nicht zugelassen wird, soll eine Strommenge vom zweitjüngsten Atomkraftwerk Emsland übertragen werden. Die Prüfung dieses Antrags durch das Bundesumweltministerium, die eine vergleichende Sicherheitsanalyse beider Kraftwerke erfordert, ist noch nicht abgeschlossen. Der Hessische VGH hat deshalb das Gerichtsverfahren zu einer diesen Antrag betreffenden RWE-Klage zunächst bis Ende März ausgesetzt.

RWE Power legt Revision ein
„Wir bedauern das Urteil“, erklärt Gerd Jäger, der bei RWE Power für Kernenergie zuständige Vorstand. „Denn nach unserer Auffassung muss die Kernenergie wichtiger Bestandteil des Energiemixes bleiben: Sie ist sicher, CO2-frei, senkt unsere Importabhängigkeit und hat dämpfende Wirkung auf die Strompreise.“ RWE Power wird deshalb im Rechtsstreit um die Übertragung von Strommengen aus dem sogenannten Mülheim-Kärlich-Kontingent auf das Kraftwerk Biblis A vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen.

Mit der Übertragung von 30 Terawattstunden auf Biblis A soll eine Angleichung an die Laufzeit von Block B ermöglicht werden, so RWE. Zierl sei es zudem, Zeit zur Klärung der Frage zu gewinnen, wie die Kernenergie zu ersetzen ist, ohne die Klimaschutzziele zu gefährden und die Versorgungssicherheit zu beeinträchtigen. Ein Weiterbetrieb von Block A ist aus Sicht des Unternehmens sicherheitstechnisch uneingeschränkt möglich, wirtschaftlich geboten und mit Blick auf den Klimaschutz und die Versorgungssicherheit notwendig. RWE Power bleibt bei der Auffassung, dass diese Übertragung mit einer im Einvernehmen zwischen Bundeswirtschaftsministerium, Bundesumweltministerium und Bundeskanzleramt ergehenden Zustimmung zulässig ist.

AKW endgültig abschalten
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat in einer ersten Stellungnahme die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Kassel über die Unzulässigkeit des RWE-Antrages auf Übertragung von Strommengen auf das Atomkraftwerk Biblis A begrüßt. „Diese Entscheidung beruht auf einer Selbstverständlichkeit: Auch RWE muss sich an die Gesetze halten“, sagte Renate Backhaus, Atomexpertin des BUND. „Das Atomgesetz schließt die von RWE gewünschte Übertragung von Strommengen von dem nie in Betrieb gegangenen AKW Mülheim-Kärlich auf Biblis A klar aus. Man könnte es fast als unsittlichen Antrag bezeichnen, dass RWE genau dies verlangt hat.“

Der BUND forderte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auf, auch den zweiten Antrag, mit dem RWE die Übertragung von Strommengen vom AKW Emsland auf Biblis A fordert, abzulehnen. Es sei unverantwortlich, Biblis A länger als im Atomkonsens vereinbart am Netz zu lassen. Schließlich habe RWE dieser Vereinbarung zugestimmt. Der Reaktor gehöre zu den ältesten und unsichersten Atomanlagen in Deutschland. Er habe nicht nur eine Serie von Störfällen vorzuweisen. Besonderes riskant sei das Fehlen einer unabhängigen Notstandswarte, die den Reaktor bei schweren äußeren Einwirkungen wie z.B. Terroranschlägen oder Flugzeugabstürzen herunterfahren könne. Biblis A sei außerdem unzureichend gegen Erdbeben gesichert. Die einzig verantwortliche Lösung sei deshalb die sofortige Stilllegung des Reaktors.

Backhaus: „Da sich die Bundesregierung einschließlich Umweltminister Gabriel weiterhin zur Umsetzung des Atomkonsenses bekennt, müssen die Atomkraftwerke auch innerhalb der im Konsens vereinbarten Fristen vom Netz. Ansonsten macht sich die Regierung unglaubwürdig. Gabriel hatte im Sommer Initiativen zur schnelleren Stilllegung der älteren Reaktoren angekündigt, diese muss er nun auch endlich umsetzen.“ Der Stillstand von Biblis A in den zurückliegenden Monaten sei für die Stromversorgung in Deutschland offensichtlich kein Problem gewesen. Die endgültige Stilllegung dieses Risikoreaktors müsse Priorität haben gegenüber dem Anliegen von RWE, mit Stromlieferungen aus Biblis A weiter Geld zu verdienen.

Längere Laufzeiten als Sackgasse
Auch der NABU warnte davor, ältere Kraftwerke durch Übertragung von Strommengen länger laufen zu lassen. Das Vorgehen der Stromkonzerne führe in die Sackgasse und habe nur das Ziel, den beschlossenen Atomausstieg aufzukündigen. „Die Schrott-Reaktoren von Biblis müssen so schnell wie möglich vom Netz. RWE & Co. brauchen endlich eine klare Ansage, dass jede Übertragung von zusätzlichen Laufzeiten auf die ältesten Atomkraftwerke in Deutschland politisch unerwünscht ist“, forderte NABU-Präsident Olaf Tschimpke.

Der Landesvorsitzende des NABU Hessen, Gerhard Eppler, rief die im April neu zu bildende hessische Landesregierung auf, gegenüber dem Betreiber konsequent die im Atomgesetz festgeschriebene Abschaltung der Biblis-Reaktoren durchzusetzen. In den vergangenen 30 Jahren sind in Biblis A und B insgesamt 737 meldepflichtige Störfälle aufgetreten. Das älteste und störanfälligste deutsche Doppelkraftwerk war von Herbst 2006 bis Februar 2008 außer Betrieb, weil rund die Hälfte aller Schwerlastdübel falsch montiert worden waren. Diese Stillstandzeiten führen bereits dazu, dass der Atommeiler Biblis A nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen in dieser Legislaturperiode abgeschaltet wird.

Obwohl im vergangenen Jahr durch Stillstand der Kraftwerke in Biblis, Brunsbüttel und Krümmel 26 Milliarden Kilowattstunden weniger an Atomstrom erzeugt wurden als 2006, konnte Deutschland noch immer einen Exportüberschuss von beachtlichen 14 Milliarden Kilowattstunden erzielen. „Es wird klar, dass das von den Energiekonzernen propagierte Schreckgespenst einer Stromlücke nicht existiert! Stattdessen können wir bis 2012 wie geplant auf die Erzeugungskapazität von insgesamt sechs Atomreaktoren verzichten. Die jetzige Diskussion um Laufzeitverlängerungen ist daher energiepolitisch überflüssig und dient nur den Interessen der Betreiber.“, kritisierte NABU-Energieexperte Carsten Wachholz.