Ein Bagdader LKW-Fahrer wird Stromversorger
Quelle: net tribune vom 22.06.2007

Früher verdiente Said Abdul Wahab al Obeidi als Lastwagenfahrer sein Geld. Doch als die Straßen des Irak zu gefährlich wurden, sah er sich nach einer anderen lohnenden Einnahmequelle um.

Also verkaufte Al Obeidi sein Fahrzeug, besorgte sich einen großen Generator und gründete sein eigenes Stromversorgungsunternehmen.

Bagdads Stromnetz ist nach Jahren der Korruption und Vernachlässigung und aufgrund ständiger Angriffe kaum noch funktionstüchtig. Seit der US-Invasion vor mehr als vier Jahren gibt es ständig Beschwerden über die Knappheit von Elektrizität. Aber noch nie zuvor sei die Situation so schlimm gewesen wie zurzeit, klagen die Bewohner der Hauptstadt Bagdad.

Viele Iraker kaufen kein Fleisch mehr, da ihre Kühlschränke nicht mehr kühlen. Manche Bewohner höherer Stockwerke haben kein fließendes Wasser, wenn es keinen Strom gibt. Angesichts der sengenden Sommermonate, in denen Temperaturen von deutlich über 38 Grad normal sind, haben viele Angst, dass sie noch nicht einmal genug Strom haben werden, um einen kleinen Ventilator zu betreiben, der für einen erholsamen Schlaf sorgen könnte.

Nach Angaben von Vizepräsident Adil Abdul Mahdi brauchen die 27 Millionen Einwohner des Iraks pro Tag mindestens 9.000 Megawatt Strom. Zum Vergleich: In den USA reicht diese Menge gerade für zweieinhalb bis vier Millionen Menschen. Doch Schätzungen gehen davon aus, dass im Irak Ende Februar gerade einmal die Hälfte der mindestens benötigten Energie zur Verfügung stand.

Irakische Beamte machen für die Probleme bei der Stromversorgung die Angriffe von Rebellen auf Hochspannungsmasten oder Elektrizitätswerke verantwortlich. Energieminister Karim Wahid sagt, Aufständische hätten vor einigen Wochen die Stromleitungen zerstört, die Bagdad von Norden und Süden aus mit Strom versorgen. Die USA hingegen sehen die Ursache des Problems in der Korruption - denn umgerechnet schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro an Fördergeldern, mit denen das Stromnetz des Landes wieder aufgebaut werden sollte, sind bisher verschwunden.

Viele Iraker behelfen sich mit eigenen Generatoren, doch steigende Kosten für Kraftstoff und Unterhalt haben diese mittlerweile fast unerschwinglich werden lassen. Fuad Abdul Hussein aus dem Bagdader Stadtteil Sadr City kann seinen Generator nur stundenweise anschalten. Er habe Taschenlampen gekauft, damit seine Söhne für Klausuren lernen könnten und er sammle Trinkwasser in einem großen Tongefäß, sagt der 44-Jährige.

Der Schwarzhandel blüht

Der Bedarf der Bevölkerung hat in Bagdad zudem einen florierenden Schwarzhandel mit elektrischer Energie geschaffen. In fast jedem Stadtteil sieht man Generatoren, die auf Bürgersteigen oder Höfen aufgestellt wurden und über ein Gewirr bunter Kabel Häuser in der Umgebung mit Strom versorgen.

Der Schwarzhandel mit Strom hat mittlerweile eine so große Dimension angenommen, dass US-amerikanische Inspektoren davon ausgehen, dass private Generatoren mehr als ein Drittel des irakischen Stroms produzieren. Vor allem in Bagdad, wo viele Stadtteile seit Wochen weniger als eine Stunde pro Tag mit Strom versorgt werden, liegt der Anteil privat erzeugten Stroms zweifellos noch höher.

«Die Regierung ist nicht in der Lage (...), das Stromproblem zu lösen, also scheint es so, als könnten wir noch lange damit ein Geschäft machen», sagt Al Obeidi. «Wenn es gut läuft, kann ich im Monat 750 bis 1.000 Euro verdienen», erklärt der ehemalige Lkw-Fahrer. Das ist zwar nur die Hälfte dessen, was der vierfache Vater zuvor als Lastwagenfahrer verdiente. Al Obeidi geht es dennoch besser als vielen anderen Betreibern von Generatoren. Denn die Knappheit an Kraftstoff hat viele dazu gezwungen, die Stromerzeugung einzuschränken.

«Wenn die Temperaturen steigen, fühlen wir uns wie in einem Ofen - vor allem, wenn wir schlafen», klagt Schafika Taufik Taher, die seit Kurzem nicht mehr mit Strom versorgt wird. Die 55-jährige dreifache Mutter ist der Meinung, das Leben der irakischen und amerikanischen Beamten habe mit der Realität der Bevölkerung wenig zu tun. «Wenn sie unsere Not wirklich interessiert - wie sie es behaupten - dann möchte ich, dass sie mal einen Tag im Haus einer normalen Familie verbringen, und sehen, wie die Bewohner leiden.»