Österreich steigt freiwillig ab
von Dr. Fritz Binder-Krieglstein

Ehemals erneuerbares Musterland, liegt Österreich heute 29% unter dem Kyoto-CO2-Zielwert und würde sich mit der drohenden Novelle zum Ökostromgesetz ein unüberbietbares Eigentor schießen. Es war einmal, und es war einmal schön. Österreich galt noch vor einigen Jahren als Vorbild beim Umweltschutz und besonders bei den Erneuerbaren Energien.
Inzwischen ist alles ganz anders geworden.

Erstens:
Das Ziel der CO2-Reduzierung ist nicht nur nicht gelungen.
Nein, die CO2-Emissionen haben sogar um beinahe 17 % gegenüber 1990 zugenommen.
Die Alpenrepublik liegt jetzt im EU-Ranking an vorletzter Stelle und kaum jemand gibt sich noch der Illusion hin, die Vorgabe von minus 13 % der Emissionen von 1990 sei in den verbleibenden sechs Jahren zu erreichen.
Zweitens:
Seit drei Jahren sinkt der Anteil der Erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch, vor allem weil dieser stark zunimmt – beim Strom jährlich um über satte 2,5 %. Damit ist Österreich im Europavergleich in die ökologische Regionalliga abgestiegen.
Drittens:
2005 konnte der weitere Sinkflug des erneuerbaren Anteils am Gesamtenergiebedarf vorübergehend gestoppt werden, weil das 2003 in Kraft getretene Ökostromgesetz zu vielen Neuanlagen geführt hatte. Ein weiterer Absturz in den nächsten Jahren durch die tatsächlich prohibitiven Rahmenbedingungen wäre jedoch gewiss: Sollte die Novelle zum Ökostromgesetz in Kraft treten, wird dem Kleinstaat eine Rückkehr wenigstens in die Landesliga unmöglich gelingen.
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Die Details
Am 1. Januar 2003 begann die bundeseinheitliche Förderung von Ökostromanlagen. Davor hatte jedes der neun Bundesländer eigene Tarife und Bedingungen. Im Prinzip war das Ökostromgesetz dem deutschen EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) nachempfunden, mit diversen kleinen Abweichungen, die in Summe einen Unterschied ergaben, wie er zwischen einer Amateur- und einer Profimannschaft besteht. Die Einspeisetarife waren durch Verordnung des Wirtschaftsministers zu erlassen und bis auf die Photovoltaik deutlich niedriger als die Vergütungen im EEG.
Hurra, wenigstens für die Photovoltaik schlug also das österreichsche Herz der Politik?
Weit gefehlt: Die PV-Anlagen wurden nämlich mittels einer Deckelung von 15 MW gesamtinstallierter Leistung sozusagen auf die Ersatzbank verwiesen, weil dieses Limit wenige Wochen nach dem Jahresbeginn 2003 erreicht worden war. Die Laufzeit der Förderung war mit 13 Jahren limitiert, im EEG sind es 20. Das Gesetz sah eine Befristung für Anlagengenehmigungen bis Ende 2004 vor.

Wirtschaftsminister Bartenstein (ÖVP) präsentierte schließlich im Frühherbst 2004 eine Novelle zum Ökostromgesetz in Form einer Regierungsvorlage.
Tenor dieses Entwurfes der ÖVP-FPÖ-Koalition war die unzumutbar hohe Belastung des "armen Mutterls" (Kleinrentner mit Mindestpensionsbezug) und der Industrie, die am Ökostromzuschlag zugrunde zu gehen drohte, wie sie das darstellte.
Ein lauter Aufschrei der Erneuerbaren-Szene ging durch Österreichs Berge und Täler. Denn die Novelle kam einer Behinderung für potentielle Anlagenbetreiber gleich, als ob man Amateurfußballer auch noch ohne Fußballschuhe antreten lassen würde.

Auf der Gegenseite hatte sich eine sonderbare und selbst ernannte "Allianz der Zahler" gebildet:
Die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer marschierten plötzlich im Einklang mit der Arbeiterkammer, die zur Rettung des kleinen Mannes antrat, der nicht weiter geschröpft werden dürfe.
Wobei die "Belastung" durch den Ökostromzuschlag keine 2 Euro pro Monat für den Durchschnittshaushalt ausmachte.
Eine zentrale Rolle kam der staatlichen Strom-Aufsichtsbehörde namens E-Control zu, die in der Erneuerbaren-Szene als PR-Abteilung des Wirtschaftsministers Bartenstein gehandelt wird. Sie erstellt die Entscheidungsgrundlagen in (Öko-) Stromangelegenheiten für den unverhohlen industrielastigen Minister, der selbst ein Industrieller ist. Aber derart einseitig, dass neben sämtlichen Interessensverbänden der Erneuerbaren selbst Politiker von Bartensteins Partei, der ÖVP, offen in den Medien die Seriosität der E-Control in Frage stellten. Hauptargumentationslinie der Stromaufseher sind die angeblich unzumutbar steigenden Ökostromzuschläge in den nächsten Jahren.

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Die Komplexität der Causa nimmt noch zu:
Nachdem das Ökostromgesetz von 2003 einige Verfassungsbestimmungen enthält, benötigt seine Änderung die Zwei-Drittel-Mehrheit und somit die Zustimmung der Sozialdemokraten (SPÖ). Der unter den Energiesprechern der Großparteien ÖVP und SPÖ ausgehandelte Kompromiss, der nur wenig vom ursprünglichen Entwurf abwich, sollte also im Dezember 2004 beschlossen werden. Im letzen Moment, nicht zuletzt durch die gezielt an die SPÖ-Spitze herangetragenen Proteste von Seiten der Erneuerbaren- und Umwelt-NGOs, verweigerte diese die Zustimmung zur Novelle.

Das neue Jahr, 2005, zog ins Land, Minister Bartenstein tat ausgiebig nichts und das Ökostromgesetz wurde damit für neue Projektwerber unanwendbar, weil Einspeisetarife für Neuanlagen nach dem Gesetzestext nicht mehr möglich waren.
Neue Tarife per Verordnung zu erlassen, hatte sich dadurch ebenfalls erübrigt. Damit tat sich eine höchst prekäre Situation für Anlagenbetreiber auf, die in Genehmigungsverfahren steckten, die noch nicht beendet waren:
Die Frist zur Errichtung war mit Juli 2006 limitiert, die Bewilligungen jedoch nicht erteilt. Zähe Verhandlungen zur Fristerstreckung per Verordnung führten zu der Absurdität, dass diese im Spätsommer 2005 zwar gewährt worden ist, nicht jedoch für Windkraftanlagen.
Damit ist die Besonderheit angeschnitten, dass die ÖVP die Windkraft nicht liebt, die SPÖ wiederum die Biomasse. Warum das so ist, mag mit dem windreichen Burgenland an der Grenze zu Ungarn zusammenhängen, das fest in sozialdemokratischer Hand ist und den Bauern als Biomassenutznießer, die traditionell der ÖVP zugerechnet werden.
Ja, wie sich der kleine Maxi die große Welt vorstellt, ist sie wohl auch.
Der halbherzige Versuch, im April 2005 einen neuen Anlauf zu nehmen, um die Novelle durch das Parlament zu bringen, scheiterte.
Wieder waren die Interessensvertreter der Erneuerbaren zusammen mit den wichtigsten Umweltschutzverbänden wachsam und auch bewusstseinsbildend bei den PolitikerInnen unterwegs gewesen.
Im Frühjahr spaltete sich Jörg Haider von der FPÖ ab und gründete das BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich, die Orangen). Im Bundesparlament hatte dies keinerlei Folgen auf die politische Unterstützung der Blauen (=FPÖ) als Regierungspartner, die nun bis auf zwei Abgeordnete aber inklusive dem Energiesprecher "orange" geworden waren. Orange und Blaue waren koalitionstreu und somit für die Novelle.

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Die erfolgreichen Störungen der Ökostrominteressenten, inzwischen als "Ökostromplattform" organisiert, ließ die Großparteien die Taktik ändern:
Ab Sommer 2005 verhandelten die Energiesprecher streng geheim, natürlich ohne den der Grünen. Selbst die Sozialpartner (das sind die fünf Gruppierungen namens Industriellenvereinigung, Arbeiterkammer, Landwirtschaftskammer, Wirtschaftsbund und Gewerkschaftsbund) wurden nur gelegentlich und sozusagen undercover einbezogen.

Anfang November kam immer klarer heraus, dass sich vor allem die widerstreitenden Großparteien ÖVP und SPÖ einig werden würden.
Abermals liefen die Proponenten der Ökostromplattform gegen die drohende Novelle Sturm, diesmal jedoch erfolglos, obwohl sich die Lage wegen der explodierten Preise für fossile und atomare Energie gegenüber Herbst 2004 völlig zugunsten von Ökostrom gewendet hatte. Dass dieses rationale Argument und andere nichts mehr halfen, wird deutlich wenn man die "wahren Gründe", die Kernpunkte des Kompromisses betrachtet:
Was würde die Novelle bewirken?
Nicht weniger als die Verringerung der 2003 und 2004 genehmigten Ökostromanlagen auf ein Viertel bzw. ein Fünftel bei Biogas. Der Photovoltaik stünden zusammen mit der Geothermie jährlich bis 2011 nur 1,7 Mio.! für Einspeisetarife zur Verfügung, was kaum mehr als 1 MW Anlagenleistung bedeuten würde. Mit diesem Kahlschlag sollten die Endkonsumenten bei den Stromzuschlägen entlastet werden.

Die SPÖ wurde für ihr Ja zweifach belohnt, nämlich die rot regierten Bundesländer Salzburg und Wien. Formal soll die Mittlere Wasserkraft (10 MW bis 20 MW) einen einmaligen Investitionszuschuss von 10 % der Gesamtkosten einer Anlagebeziehen, also vor allem Salzburg bzw. der Landes-Energiekonzern Salzburg AG für das beabsichtigte Wasserkraftwerk Pfarrwerfen (16 MW). Für Mittlere Wasserkraft sind in der Novelle 50 Mio. ! reserviert.
Wien und andere Städte würden eine KWK-Förderung mittels Investitionszuschuss bis 10 % je Anlage, insgesamt 60 Mio. !, erhalten.
Der Haken ist der Brennstoff: Denn die KWK-Förderung soll vornehmlich schon fertig projektierten Erdgas-Kraftwerken zuteil werden - und das durch ein Ökostromgesetz. Eine höhere Erdgasabhängigkeit ist konkret zu erwarten. Als Draufgabe würde die Novelle auch noch die Laufzeit der Einspeisetarife auf 11,5 Jahre verringern. Die ultimative Komplexitätsstufe dieser Causa wird jedoch erst jetzt erreicht, oder anders ausgedrückt, jetzt fällt das Eigentor - in Zeitlupe:

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Erstens:
Seit Sommer 2005 ist ein EU-Verfahren gegen Österreich wegen des Ökostromgesetzes anhängig, weil das Vergütungssystem der Einspeisetarife als wettbewerbswidrige Beihilfe beanstandet wird.

Zweitens:
Die Ökostromquote Österreichs nach EU-Richtlinie beträgt - wegen des hohen traditionellen Wasserkraftanteils - für 2010 78,1 % und wird wahrscheinlich mit den Maßnahmen in der Novelle um ca. 15 % unterschritten werden. Die Regierung widerspricht dem, weil sie die 78,1 % vom Gesamtstromverbrauch 2001, also dem Jahr des In-Kraft-Tretens der Richtlinie bemisst und nicht 2010. Außerdem wäre der Wert eine Soll- und keine verbindliche Muss-Bestimmung, hatte das Wirtschaftsministerium verlautbart.
Bisherige Stellungnahmen aus der EU jedoch lassen eine deutlich andere Auslegung erkennen. Ohne die Beihilfe-Problematik weiter zu vertiefen führen die dargelegten Umstände zu folgendem momentanen Stand rund um die Ökostromgesetz-Novelle:
Die in aller Eile durch den Wirtschaftsausschuss gepeitschte Novelle wartet seit November in der Kabine. Ob, wie und wann das Spiel weitergehen wird, ist derzeit völlig offen.
Eines steht fest: Die Beihilfenproblematik scheint sich erhärtet zu haben. Der neue Ansatz dürfte ein Verrechnungssystem à la EEG werden. Aber damit kann man die Direktzuschüsse für Mittlere Wasserkraftwerke und KWK-Anlagen, ob fossil oder nicht, schwer darstellen.
Neuerdings ist ein gänzlich anderes Instrument in die Verhandlungen gekommen, das eine Abgabe pro Zählpunkt vorsehen würde. Weil bislang nähere Details nicht zu erfahren waren, hört hier die Zeitlupenaufnahme des Eigentores fast auf und wird um handfeste Polit-Einflüsse ergänzt, die im Stande sind, ansatzweise panisches Verhalten hervor zu rufen:

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Es ist Vorwahlzeit in Österreich und Mitte November Urnengang.
Niemand kann das Unmögliche ausschließen, nämlich dass diese Legislaturperiode ohne Gesetzesbeschluss über die Ökostromgesetz-Novelle zu Ende gehen wird.
Zu guter Letzt fragt man sich daher, welche Konsequenzen der Aufschub hat und haben kann. Derzeit gibt es für neu eingereichte Anlagen bei Genehmigung keinen daraus gesetzlich ableitbaren Anspruch auf Einspeisevergütung. Kritiker der beabsichtigten Förderung für Mittlere Wasserkraftwerke geben insofern Entwarnung, als der Marktpreis an den Strombörsen (derzeit) ohnehin höher liegt als die bisherigen Tarife für Klein-Wasserkraftwerke. Das ist auch nach wie vor die mehrheitliche Ansicht der Erneuerbaren-Szene, die diese Gelder lieber in Anlagen investiert sehen will, die noch nicht marktpreisfähig sind.

Völlig offen bleibt die Frage, ob jetzt und bis zu einem neuen Ökostromgesetz genehmigte Anlagen nachträglich Einspeisetarife erhalten werden. Sollte das 78,1 % EU-Ziel auf Basis 2010 zu erfüllen sein, müsste die Leistung der zu installierenden Ökostromanlagen jedenfalls erhöht werden.

Innerhalb der Erneuerbaren-Szene Österreichs sehen nicht wenige eine Verschiebung und Neuverhandlung der Novelle in der neuen Parlamentsperiode durchaus positiv. Man hofft darauf, dass zwischenzeitig das sehr positive Bewusstsein der österreichischen Bevölkerung für die Erneuerbaren auch in die Bundespolitik einsickert und den Schwenk in Richtung EEG bewirken wird. Zu wünschen wäre es, und angesichts der Klimaerwärmung, die im Alpenraum rascher voranschreitet als anderswo, auch dringend notwendig.

Die Anlagenbetreiber und -interessenten für Windkraft, die in den letzten Jahren für die Steigerungsraten von Ökostrom hauptverantwortlich waren, haben die Konsequenzen rasch gezogen: Man investiert in Österreich akquiriertes Kapital in ausländische Anlagen. Womit durch die im Grunde traurige Politposse "Ökostromgesetz-Novelle" zu beweisen war:
Das geschossene Eigentor ist wahrlich unüberbietbar.